1993

Die Dreigroschen Oper

Regie: Bettina Schmid Autor: Bertolt Brecht Bühnenbild: Adrian Hossli

Polly Peachum will den Verbrecherkönig Mackie Messer heiraten, aber ihr Vater, der Bettlerkönig, will die Ehe verhindern, weil ein blosser Bandit unter seiner Würde steht. Zwar besitzt Peachum einen ganzen Requisitenfundus, mit dem er die ehrenwerten Bettler erwerbsfähig macht Mord und Totschlag hingegen liegen ihm weniger. Polly feiert jedoch ungeachtet aller "Standesunterschiede" in einem Pferdestall Hochzeit mit Mackie Messer, der ihr vorübergehend die Führung der Bande anvertraut, weil ihm wieder einmal der Boden unter den Füssen zu heiss geworden ist. Er flieht, doch Pollys Eltern bringen ihn ins Gefängnis, aus dem er mit Hilfe der eifersüchtigen Tochter des Polizeichefs entfliehen kann. Dennoch entgeht er seinem Schicksal nicht, weil Peachum anlässlich des königlichen Hochzeitszuges eine Bettlerdemonstration veranstalten will, falls man den Verbrecherkönig nicht hängt.
Der Handlungskern ist übernommen aus der englischen Opernparodie "The Beggar’s Opera" (Die Bettleroper) von John Gay aus dem 18. Jahrhundert. Brecht, der Gesellschaftskritiker, machte daraus stegreifartige Bilder zum Aufrütteln und Abschrecken, keine "logisch" entwickelte oder dramatisch gebaute Handlung. Messerscharf und bewusst derb die Sprache, die sich insbesondere in den eingestreuten Songs zu blanker, ungeschminkter Ironie verdichtet.
Das Stück wurde 1928 in Berlin uraufgeführt.

 

Gedanken der Regisseurin

Es war schon seit einiger Zeit ein Wunschtraum von mir, einmal "Die Dreigroschenoper" inszenieren zu können. Nun ist aber dieses Stück selbst für ein Stadttheater ein gewagtes Unterfangen - erst recht natürlich für eine Laienbühne. Umso mehr freut es mich, dass die Stanser den Mut aufgebracht haben, sich an dieses anspruchsvolle Stück heranzuwagen. Die Probenarbeit hat uns allen Spass gemacht, trotz vieler Befürchtungen, die immer wieder auftauchten. Ich danke allen Mitwirkenden für den enormen Einsatz und das Vertrauen, das sie mir schenkten - einer Regisseurin, die in Stans das erste Mal inszeniert.
"Die Dreigroschenoper" ist durch die aktuelle Verarmung vieler Menschen wieder sehr aktuell geworden. Ich selber bin immer wieder schockiert, wenn ich im reichen Zürich vermehrt Bettler antreffe, ein Bild, das für mich bis anhin in die Dritte Welt oder zumindest in ärmere Länder Südeuropas gehörte. Es sind auch bei uns nicht mehr bloss Randexistenzen, die - bedingt durch Krankheit, Sucht oder Alter - unter dem Existenzminimum leben.
Das Thema des Stücks ist eine Gesellschaftsordnung, die als korrupte Ordnung hinter einer Fassade von Wohlanständigkeit, Moral, Geschäft und Glanz versteckt ist. Das Stück zeigt eine Welt, in der der normale Bürger Räuber ist, der Räuber aber auch normaler Bürger. Dabei tritt die "schützende" Polizei als Hüter der bestehenden Raub- und Hackordnung auf.
Der Mensch als Verkaufsobjekt, das ist der bittere Gehalt der "Dreigroschenoper". Mac ist Unternehmer, der auf Kosten seiner Angestellten (Räuber) lebt. Jenny, von Mac als Hure verkauft, "verkauft" diesen im Gegenzug an Peachum. Die Huren sind der Inbegriff des verkauften Menschen. Doch auch die Bettler tragen ihre Haut zu Markte, nicht mit ihren Reizen wie die Huren, sondern mit ihren abstossenden, verstümmelten Körpern. Aber selbst das Betteln wird zur Lohnarbeit. Bei Peachum hat der Bettler geregelte Arbeitszeit und die nötige Ausstattung, die Arbeitsmittel. Peachum ist als Unternehmer Zuhälter, wie Mac als Zuhälter Unternehmer ist.
"Die Dreigroschenoper" versucht, das menschliche Antlitz der Bettler und Huren aufzuzeigen und dem "braven Bürger" die Maske der Wohlanständigkeit zu entreissen. Die Lieder erzählen uns mit bissigem Humor vom Elend dieser Menschen, von ihren Hoffnungen und Träumen. Peachum sagt: "Wer möchte nicht in Fried und Eintracht leben, doch die Verhältnisse, die sind nicht so". Wo viel Leid ist, Klagen nichts hilft, da können Humor und schöne Träume vieles erträglicher machen.
Bettina Schmid

 

Gedanken des musikalischen Leiters

Kurt Weill gehört zu den wenigen Komponisten neuerer Zeit, die einige grosse Werke geschrieben hat, die auch von Laien gesungen werden können. Und doch - seine Musik hat so ihre Tücken. Man meint, die Melodien einfach nachsingen zu können, aber es gibt Stellen, wo man sich irrt. H. H. Stuckenschmidt schreibt im Vorwort zur Partitur: "Die Harmonien sind zwar von gewohnter Art, aber sie stehen gleichsam schief im Bild. Sie sind aus einer anderen musikalischen Situation herausgeschnitten und nach Collage-Art eingesetzt. Das Verfahren ist, in vereinfachter Art, der surrealistischen Malerei entliehen."
So mancher verzweifelter Schrei und die wiederkehrende Frage "Wo ist mein Ton?" begleitete auch unsere Solistenproben. Dass schlussendlich alles klappt und die Songs so daherkommen, als seien sie eben leicht hinzuschmeissen, ist dem wie immer enormen Einsatz der Stanser Theaterleute zu verdanken.
Eine besondere Freude ist mir das kleine Orchester aus jungen, vielseitig bewährten Kräften, welches für den ironisch parodistischen Ton sorgt, den Weills Musik so herrlich auszeichnet und zum kongenialen Part in Brechts Stück werden lässt. H. H. Stuckenschmidt: "Die Musik ist volkstümlich, neu und stilistisch geschlossen." Nur scheinbar wird die Tradition der Oper belehnt. "Auch wo Fugen erklingen, denkt man noch an Jahrmarkt, Heilsarmee und Leierkasten. Stücke wie die Moritat von Mackie Messer, die Tangoballade, die Seeräuberjenny, der Kanonensong sind klassische Beispiele einer neuen sozialen Kunst. Der Reiz dieser jazzgetränkten Musik besteht darin, dass sie zwischen zwei Stühlen sitzt."
Wenn Sie, liebe Theaterbesucherin, lieber Theaterbesucher, auf Ihrem Stuhl sitzen - wenn es auch nicht der bequemste ist - geniessen sie hoffentlich die Doppelbödigkeit der Weillschen Musik. Hören sie aber auch, was Brechts Figuren am Rand der wohlanständigen Gesellschaft zu sagen haben und "Bedenkt das Dunkel und die grosse Kälte in diesem Tale, das von Jammer schallt."
Dominik Wyss