1990

Die Lokalbahn

Regie: Hans Gysi Autor: Ludwig Thoma Bühnenbild: Heini Gut

Einen schönen Helden haben wir da, den Stadtpräsidenten eines ruhigen Provinzstädtchens. Er ist wohlhabend und rechtschaffen und mag nicht mit grossen Worten sparen, wenn es darum geht, sich bei seinen Bürgern Anerkennung zu verschaffen. Brave Bürger, strebsam und eifrig, die immer nur das Wohl der Stadt und insbesondere ihr eigenes im Auge haben. Ein Politikum von lokaler Bedeutung - die Lokalbahn - der Anschluss an die grosse weite Welt, an den Fortschritt überhaupt ist Grund genug, um einen Sturm zu entfachen, der die lokalpatriotischen Wellen überschwappen und verschiedene Gerüchteküchen ausser Rand und Band geraten lässt. Ist sie nun Fiktion oder Wirklichkeit, diese Stadt voll genau gezeichneter Biedermänner/frauen, voller sich windender und stelzender Bürger, die um jeden Preis eine echte Auseinandersetzung vermeiden wollen? Jedenfalls hat Thoma seinen Figuren genau aufs Maul geschaut. In einer schnörkellosen, direkten Sprache zeigt er die Feinmechanik der Rücksichten und Vorsichten, die in einer solchen Kleinstadt zu nehmen sind. Er wirft einen genauen zweiten Blick auf die Grosseinstellungen; die Kamera verfolgt gewissermassen hautnah die Mutlosigkeit und die Unfähigkeit der Bürger, sich in Bewegung zu setzen. Hin und her gerissen zwischen öffentlichen und privaten Interessen entscheidet sich dann doch jeder für die eigenen Vorteile. Das Engagement, das so erbaulich gut tut, wird an den Stammtisch delegiert, Stammtischrhetorik bis anno Tubak.
In einer Welt, die eine idyllische Insel ist, wo eine Reise in die Hauptstadt einer Weltreise gleich kommt, wird ein Held gefeiert, auch wenn er bloss ein Maulheld ist. Die Aussenwelt kann einem nichts anhaben, falls scharfer Wind weht, dreht man kurzerhand die Fahne. Kein Kommentar zu der Bereitschaft, sich auf den Untertanengeist einzuschwören. - Jede Gesellschaft hat Helden, die sie verdient, mag man denken. Doch bei genauerem Hinsehen bleibt vielleicht das Lachen über die trüben, komischen Figuren im Halse stecken. Der Zuschauer/die Zuschauerin hat das Vergnügen, die Doppelbödigkeit des Stückes zu entdecken. Wieviel bleibt dabei von unserer eigenen, weltmännischen Denkweise übrig?
Hans Gysi, Regisseur