1974

Biedermann und die Brandstifter

Autor: Max Frisch Regie: Nils Kerkenrath Bühnenbild: Robi Odermatt

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Das Lehrstück ohne Lehre

«Biedermann und die Brandstifter» wurde am 29. März 1958 am Schauspielhaus in Zürich uraufgeführt. Die deutsche Erstaufführung mit der Uraufführung des Nachspiels in der Hölle war am 28. September 1958 an den Städtischen Bühnen Frankfurt am Main.

Frischs Stück ist die Geschichte des Bürgers Gottlieb Biedermann, der die Brandstifter in sein Haus lässt, um von ihnen - verzweifelte Hoffnung opportunistischer Bonhomie - verschont zu werden. Das Stück entlarvt präzise eine Geisteshaltung, die der Technik des Totalitären zum Erfolg verhilft.

«In «Biedermann und die Brandstifter» hat Max Frisch den Kern des Verderbens von Person und Gemeinschaft freigelegt: die verdorbene Sprache. Biedermann und Frau unterliegen gegen die Brandstifter, weil, was sie sagen, nicht gemeint ist. Ihre Sprache dient nicht der Darstellung, sondern der Verstellung.» .Werner Weber, Suhrkamp Verlag


Die Fortsetzung unserer Arbeit
Drei Elemente kennzeichnen die diesjährige Arbeit: Zuerst ein technisches: die mit «Katharina Knie» begonnene und mit «isi chli stadt» fortgesetzte, bewusste und systematische Auflösung des «Guckkasten-Systems »* unseres Theatersaales erfuhr ihre konsequente Weiterführung. Auf dem von der Architektur zwangsweise festgelegten Spielort (= Bühne) erstellten wir unser Spielpodest, weiterhin den trennenden Vorhang negierend. Illusionsschaffende Kulissen vermeidend, billigten wir nur zweck- und spielgebundene Möbel und Requisiten. Die Einheit Darstellung Raum Licht wird somit nicht mehr durch den die Aussage befrachtenden Ballast der Kulisse und überflüssigen Technik erschwert, das Anliegen des Stückes erreicht den Zuschauer und -hörer direkter .

Neu ist der (noch kleine) Sprech- und Bewegungschor als zusätzlicher «Darsteller». Er setzt sich aus «Solisten» früherer Inszenierungen zusammen. Der «Chor der Feuerwehrleute» wurde von Max Frisch als Parodie des «ewig zweifelnden, hadernden und beratenden» Chors der antiken Tragödie geschaffen, der somit das Gewissen Biedermanns einerseits und die Gedanken des Zuschauers andererseits blosslegt. Er dient ferner als verbindendes und spannungsschaffendes Element der Handlung. Unser Chor spricht schriftdeutsch im Gegensatz zu den Solisten, die sich der Mundart bedienen. Die im vorigen Jahr gemachten Erfahrungen der Zweisprachigkeit ist ein Vorteil unseres Sprachgebietes, dessen wir uns bewusst bedienen, um gedankliche Abgrenzungen stärker zu veranschaulichen.

Das dritte Element ist ein menschliches, für die Zukunft unserer Arbeit bedeutend. Der Monolog des Regisseurs weicht immer mehr dem Dialog aller mit allen. Mehr noch: jeder Darsteller fühlt sich gleich verantwortlich, fühlt sich aufgefordert mitzudenken und mitzukreiern. Der Regisseur ist nicht länger die verkrampft beobachtende Gebährmaschine von Ideen, sondern «nur» noch ein Beobachter, Beratender, Stimulant. Jeder lässt jedem Zeit, alle Ideen werden geprüft, die beste wird schliesslich gewählt. Was in der Politik niemals möglich sein wird, kann - welch ein Glück - wenigstens dort verwirklicht werden, wo es nicht um materielle, sondern um ideelle Werte geht - in der Kunst, auf dem Theater. Aber auch nur dann, wenn alle den Mut zur Demokratie haben, wenn man den Anderen nicht frisst, sondern lebt um ihn leben zu lassen.
NK

* Guckkastenbühne: Herkömmliche Bühnenart, nur ein Ausschnitt erlaubt den Blick auf die Szene, deutliche Trennung von Bühne und Zuschauerraum.